Gedenkbuch 2013

Anna Struch geborene Flechtheim
Gustav Struch
Erich Struch
Sylvia Struch geborene Loeser

Von Andreas Lorenz, Aachen

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Foto: Sylvia Struch (Stadsarchief Breda)

Anna Margarete Flechtheim wurde am 6. Juni 1875 in Brakel in Westfalen als ältestes von vier Geschwistern einer in der Region erfolgreich arbeitenden jüdischen Bankiers- beziehungsweise Getreidehändlerdynastie geboren. Zu den bedeutenden Persönlichkeiten der Familie Flechtheim gehört Alfred Flechtheim (1. April 1878 Münster – 9. März 1937 London) als der Kunsthändler, der für die von den Nazis als „entartete Kunst" diffamierten Werke der Moderne durch über 150 Ausstellungen Verständnis und Interesse weckte.

Weitere bedeutende Vertreter der Familie Flechtheim waren der Jurist Professor Julius Flechtheim (18. Mai 1876 Münster – 30. November 1940 Zürich) Leiter der Rechtsabteilung der IG-Farben und Aufsichtratsmitglied mehrerer Unternehmen, der Jurist und Politikwissenschaftler Professor Dr. Ossip K. Flechtheim (5. März 1909 Nikolajew – 4. März 1998 Berlin) der Begründer der Futurologie in Deutschland. Zur Generation Anna Flechtheims gehörte auch ihr berühmter Cousin Walter Flechtheim (12. Juli 1881 Warburg – 6. März 1949 London), der sich zunächst als Bankier und dann als Artist und Varietédirektor unter dem Künstlernamen Monroe mit seiner Ehefrau Molly einen Namen machte. Diesem großbürgerlichen Umfeld, das weltoffen an den aktuellen Strömungen der Zeit Anteil nahm, entstammte Anna Flechtheim.

Kontakte Alfred Flechtheims zu seinen Aachener Cousinen Anna und Konstanze konnten bisher nicht belegt werden, aber bei seinen häufigen Reisen nach Paris scheint ein Zwischenstopp in Aachen durchaus wahrscheinlich, zumal bei Aachener Sammlern auch Werke von Flechtheims Publikationen belegt sind.

Anna Flechtheims drei Jahre jüngere Schwester Konstanze (geboren 13. September 1878 in Brakel, gestorben 9. April 1934 in Aachen) heiratete ebenfalls nach Aachen.

Ihr Ehemann Leopold Strauß war in der Aachener Tuchindustrie als Tuchgroßhändler in der bereits 1858 nachgewiesenen Firma A(braham) Mayer tätig. Diese Firma residierte (1934-36) zur Miete in den im Eigentum der von Struch & Guttentag als Lager und Büro genutzten Haus in der Brabantstraße 8.

Wie es zu der Bekanntschaft und der späteren Heirat mit Bernhard Struch kam, liegt noch im Dunkeln, denn auch über Bernhard Struchs (12. Oktober 1862 Rheydt – 14. März 1930 Aachen) Herkunft ist wenig bekannt.

Die Geschichte dieses Zweiges der Familie Struch in Aachen wird erst greifbar mit einem Eintrag im Adressbuch von 1887 in dem der 25jährige spätere Ehemann Anna Flechtheims, Bernhard Struch, noch mit der Berufsangabe „Commis" geführt wird. Bernhard Struch scheint das Geschäft des Tuchmachers von der Pike auf gelernt zu haben, denn im Adressbuch des Jahres 1891 wird er bereits als Prokurist einer der größten Aachener Tuchfabriken Jos. Königsberger geführt. Die Hochzeit mit der sicherlich als gute Partie zu bezeichnenden Anna Flechtheim fällt auch in die Nähe seines Schrittes in die Selbständigkeit mit der Gründung der Tuchfabrik Struch & Guttentag im Jahre 1894.

Gemeinsam mit Philipp Guttentag (geboren 1864 in Hagen) hatte Bernhard Struch 1894 zunächst in der Paßstraße 119 eine Tuchfabrik gegründet. Diese entwickelte sich bis zu ihrer Arisierung 1938 wirtschaftlich erfolgreich. Neben der Paßstraße wurden bis 1911 Gebäude in der Rudolfstraße 58 genutzt, Büro und Lager waren in der Brabantstraße 8. Der Erfolg spiegelte sich auch in den beachtlichen Zahlungen wider, die gemäß der Heberolle der Synagogengemeinde an Einkommensteuer und als Beitrag im Jahre 1916 zu leisten waren. Mit Beträgen von 7.400 und 1.628 Reichsmark gehörte die Familie Struch zu den Spitzenzahlern, die lediglich von den Familien Hertz, Jacobsberg, Königsberger, Meyerfeld und vier Zweigen der Familie Meyer übertroffen wurden. Alle diese Familien hatten ihr Vermögen in der Aachener Tuchindustrie erworben.

Die Eheleute Struch bekamen zwei Söhne: Walter Gustav (geboren 22. Oktober 1897 in Aachen) und Erich (geboren 3. August 1901 in Aachen).

Die Familie Struch zog nach Heirat und Geburt des Sohnes Gustav von der Wilhelmstraße 60 in ein eigenes Haus in der Roonstraße 12 im neu erschlossenen Frankenberger Viertel. Hier wuchs Erich nach seiner Geburt auf. 1930 war Bernhard Struch noch Eigentümer des Hauses in der Roonstraße.

Sylvia Johanna Marie Loeser kam als Tochter von Max und Karolina Loeser am 29. September 1903 in Gleiwitz zur Welt. Nach ihrer Heirat mit Erich Struch im Jahr 1928 bezog das Ehepaar zunächst ein stattliches Mehrfamilienhaus auf der Lütticher Straße 141, ganz in der Nähe des Onkels Leo Struch (1882 Aachen – 1943 Auschwitz). Die junge Familie wuchs. Am 21. August 1929 wurde Tochter Helga Johanna geboren, am 1. Februar 1932 Sohn Bernhard und am 2. Dezember 1934 Sohn Hans Peter. Um das Jahr 1933 konnte dann die neu errichtete repräsentative Villa, seinerzeit das letzte Haus auf dem Preusweg, die Nr. 113, bezogen werden.

Wie viele prominente Aachener war Erich Struch ein Anhänger des Turniersports und Mitglied im Aachen-Laurensberger Rennverein (ALRV). Doch bereits 1936 wurden er und weitere jüdische Vereinsmitglieder auf Anweisung des Bürgermeisters Quirin Jansen („Juden sind zu streichen!") vom Empfang im Rathaus ausgeschlossen.

Noch für das Jahr 1939 taucht im Aachener Adressbuch für die Eupener Straße 21b ein Neubau auf, als dessen Eigentümer Anna Struch mit ihrer Wohnadresse genannt wird. Gemeinsam mit ihrem Sohn Gustav bewohnte sie in der unmittelbaren Nachbarschaft der jüdischen Familien Katzstein, Königsberger und Löwenstein die damalige Villa Haus Waldeck auf der Raerener Straße 77 (heute Monschauer Straße).

Nach den Brandstiftungen an deutschen Synagogen und der darauf folgenden Verhaftungswelle vom 9. und 10. November 1938 gehörte Gustav Struch zu den 200 verschleppten Aachener Juden, die in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht wurden. Den erlittenen Torturen erlag er am 23. November 1938 im Konzentrationslager Buchenwald und konnte nicht wie mancher seiner Leidensgenossen noch einmal nach Aachen zurückkehren.

Die Mutter von Gustav und Erich, Anna Struch, wurde am 25. Juli 1942 von Aachen nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 20. August 1942 im Alter von 67 starb. Wie Erich und Sylvia Struch mit ihren drei kleinen Kindern die Flucht in die benachbarten Niederlande gelang, ist nicht genauer überliefert. Wahrscheinlich ist, dass sie Deutschland nach 1938 noch offiziell verlassen konnten. Sie lebten in Breda in der Wilh. Drielaan 23. Vermutlich konnten sie die Kinder von dort in einem Kindertransport verschicken. Jedoch entkam das Ehepaar Struch auch in den Niederlanden der Verfolgung nicht.

Von Sylvia Struch ist noch bekannt, dass sie 1940 für zwei Monate von Breda nach Ginneken und dann wieder zurück nach Breda zog. Dort wurde sie am 22. Dezember 1942 in das niederländische Sammellager Westerbork gebracht. Am 20. Juli 1943 wurde sie in das Vernichtungslager Sobibor deportiert und ermordet.

Erich Struch wurde vermutlich früher deportiert, allerdings finden sich keine Einträge im Sammellager Westerbork. Informationen finden sich erst wieder im Lager Mauthausen in Österreich, wo er bereits am 19. Oktober 1942 mit der Häftlingsnummer 13644 als „Techniker" registriert und im berüchtigten Block 5, im so genannten „Judenblock", untergebracht wurde. Ein Überlebender des „Judenblocks", der ebenfalls im Oktober 1942 in Mauthausen eingeliefert wurde, erinnert sich: „Block 5, [Stube] B, Judenblock, aber auch fallweise politische Häftlinge besonderer Art Das Personal bestand durchwegs aus kriminellen Häftlingen, die von der Arbeit befreit waren und gute Ernährung hatten, weil sie die dürftigen Rationen der jüdischen Häftlinge zum Teil noch stahlen. Juden bekamen in Mauthausen () nur die halbe Ration der so genannten „nichtjüdischen Häftlinge". Der Block war innerhalb des Lagers noch extra mit Stacheldraht umzäunt. Von der Arbeit mussten wir sofort in den Block; es [gab] keine Möglichkeit zur Berührung mit anderen Häftlingen (). Auch der Zählappell wurde am Block abgehalten. Die Unterbringung () war in so genannter „Sardinenform", das heißt, es gab keine Pritsche[n], keine Decken, wir mussten Kopf zu Fuß, Fuß zu Kopf in gepresster Seitenlage am nackten Fußboden die Nacht verbringen. Gelegen sind wir auf unserer dürftigen Häftlingskleidung. ()"

Aus den Niederlanden kamen 1941/1942 die meisten jüdischen Häftlinge. „Nur etwa neun Monate nach der deutschen Besetzung wurden ab Februar 1941 etwa 1400 Menschen nach Mauthausen deportiert und fast ausnahmslos ermordet." Erich Struch starb bereits am 23. Oktober 1942, nur vier Tage nach seiner Einlieferung im Konzentrationslager Mauthausen. Offiziell wurde er „auf der Flucht erschossen." Angesichts der mehrfachen Sicherung des Blocks 5 durch elektrischen Stacheldraht, ist diese Todesursache allerdings mehr als unwahrscheinlich. Ab August 1941 wurden viele Juden auch in den Gaskammern der „Euthanasieanstalt" Hartheim ermordet, andere wurden von ihren Bewachern in die Stacheldrähte getrieben oder stürzten sich selbst hinein.

Die drei Kinder überlebten die Verfolgung. Bernd Struch lebt wie seine Schwester Helga in Israel, Peter lebt in den Niederlanden.

Die brutale Konsequenz der Verfolgung ist erschütternd, deprimierend ist aber auch, dass die Vernichtung dieser Existenzen im Aachener Bewusstsein keinen sichtbaren Niederschlag gefunden hat. Hunderte Immobilien und riesige Vermögenswerte wechselten in wenigen Jahren den Besitzer. In den 1938 erstellten Listen zu den jüdischen Vermögen wurden die Angehörigen dieses Zweiges der Familie Struch mit folgenden Werten erfasst:

Familie Bernhard Struch: 921.815 RM, davon 80.000 RM Grundbesitz Gustav Struch: 410.233 RM Erich Struch: 511.000 RM, davon 60.000 RM Grundbesitz Silva Struch: 89.000 RM

Ein Kapitel zu den Arisierungen in der Aachener Tuchindustrie wurde bis heute nicht geschrieben.

Fotos: - Roonstraße 12 in Aachen (Foto: Andreas Lorenz) - Preusweg 113 in Aachen (Foto: Andreas Lorenz) - Sylvia Struch, geborene Loeser (Foto: Stadsarchief Breda)

http://www.welt.de/printwams/article102859/Zwei_Varietestars_zwischen_Erfolg_und_Verfolgung. html „Nach intensiven Recherchen in der Kurstadt wurde klar: Walther Flechtheim, der aus Warburg stammt, gehört zu jener weit verzweigten jüdischen Familie, die ihr Geld vor allem im Getreidehandel und im Bankgeschäft machte. Die Wurzeln der Flechtheims liegen seit dem 17. Jahrhundert in Brakel." Zu den von ihm persönlich vertretenen Künstlern gehörten unter anderem Pablo Picasso, Georges Braque, Paul Klee, George Grosz, Max Beckmann, Peter Janssen, Arno Breker, Aristide Maillol, Hanns Bolz, Hans Breinlinger und Eberhard Viegener. Die Aufkleber der Sammlung Flechtheim spielten als Hintergrund auch im Kunstfälscherprozess 2011 gegen Wolfgang Beltracchi eine bedeutende Rolle. In Rheydt bei Düsseldorf wohnte Alfred Flechtheim, Bruder von Erichs Mutter, der als namhafter Kunstsammler und Händler als „entartete Kunst" verfemte Bilder sammelte und bis heute die Kunstwelt beschäftigt. Die Firma A. Mayer wurde zur Firma H. Elsner „arisiert". Das ungleich größere Vermögen der Familie Struch und Guttentag wurde durch die Feintuchfabrik Schippan auf der Grundlage verwandtschaftlicher Beziehungen „arisiert". Ob die Familie Gottfried Struch, die in Aachen ein Herrenbekleidungsgeschäft beziehungsweise eine Maßschneiderei betrieb zur Übersiedlung nach Aachen Anlass gewesen sein könnte, ist nur zu vermuten. Das Auftreten eines 1848 in Rheydt beerdigten Gottfried Struch mag aber als Hinweis gewertet werden. In Aachen betrieb Gottfried Struch bereits 1885 eine Tuchhandlung für Herrenmode später ein renommiertes Herrenbekleidungsgeschäft in der Großkölnstraße 60. Der Sohn Leonhard (geboren 1882, ermordet 1943 in Auschwitz) wurde 1920 gemeinsam mit Sally Blech Prokurist und ist 1935 auch Miteigentümer des später von L. Goetz „arisierten" Hauses auf der Großkölnstraße. Die Tuchfabrik Josef Königsberger wurde 1885 von Josef Königsberger gegründet, 1931 beschäftigte man bereits 600 Arbeiter und produzierte auf 160 Webstühlen. 1939 wurde die Firma als Meißner & Co KG „arisiert" und 1951 „rearisiert" und agierte bis in die 1980er Jahre erfolgreich am Markt. Der Partner war Philipp Guttentag. Fusenig, Anette: Wie man ein ,Weltfest des Pferdesports´ erfindet – Das Aachener Spring-, Reit- und Fahrturnier von 1924 bis 1939, Diss., RWTH Aachen 2004, S. 256. Neben Struch wurden auch die Fabrikanten Philipp Guttentag, Ernst Jakobsberg, Hugo Kaufmann, Otto Meyer und Siegfried Saul von der Einladungsliste gestrichen. Ruland, Herbert: „Die Tatsache scheint zu erschrecken, daß so etwas in Aachen möglich ist": unbekannte Fotographien vom Morgen nach der Pogromnacht, in: Wolf Gruner, Armin Nolzen (Hrsgs.): Bürokratien: Initiative und Effizienz, 2001, S. 213-222. Erinnerung des Wieners Josef Herzler, der später noch nach Auschwitz deportiert wurde. Zitiert nach: http://www.mauthausen-memorial.at/db/admin/de/show_article.php?carticle=342&topopup=1 Informationen http://www.mauthausen-memorial.at