Gedenkbuch 2011

Max Steinhardt
Sofie Steinhardt

Von Walter Reed, Wilmette (USA)

„Eine lange Reise von zu Hause wurde gestern von 111 Kindern aus den erobernden und eroberten Ländern Europas beendet. Sie kamen aus Deutschland selbst und aus Deutschlands Vasallenstaaten und tragen Erinnerungen von Not und Schrecken und Hoffnungsverheißungen mit sich.“

Dies schrieb die Journalistin Nancy Kelly in der Zeitung New York Daily News am 22. Juni 1941 über die Flüchtlingskinder, die am Tag zuvor im New Yorker Hafen auf dem portugiesischen Liniendampfer SS Mouzinho aus Lissabon angekommen waren.

Der Artikel fährt fort: „Das amerikanische Komitee für die Betreuung europäischer Kinder [United States Committee for the Care of European Children] arrangierte ihre Überfahrt und suchte sie aus tausenden hilfloser Opfer des Krieges aus. Es erinnerte an Jules Steinhardt, 11, und seinen Bruder Kurt, 9 []. Kurt wurde im Zug krank, und zwei Tage und Nächte lang saß Jules neben ihm, weigerte sich zu schlafen und pflegte ihn und gab ihm Medizin und versuchte ihn aufzumuntern, indem er ihm erzählte, wie wundervoll es in Amerika sein würde.“

Jules Steinhardt wurde am 27. Juli 1930 in Aachen geboren, und sein Bruder Kurt am 14. Februar 1932. Ihre Ankunft in Amerika beendete einen tragischen Albtraum, der begann als sie als kleine Kinder in Nazi-Deutschland lebten.

Ihr Vater, Max Steinhardt, am 27. Mai 1898 in Zosnerwitze geboren, war Graveur und heiratete am 23. August 1928 Sofie Mimetz, geboren am 22. Januar 1901 in Aachen. Nach dem Nazi-Pogrom im November 1938 sah sich Max Steinhardt gezwungen, sein Heim in der Harscampstraße 61 zu verlassen und sein Geschäft in der Peterstraße 2 in Aachen aufzugeben. Er flüchtete zunächst allein nach Belgien, um die Ankunft seiner Familie vorzubereiten. Im Sommer 1939 hatte er es geschafft, ihnen die Einreise nach Belgien zu organisieren und fuhr nach Liège (Lüttich), um sie dort zu treffen. Durch ein bedauerliches Missgeschick konnte er seine Frau und seine Söhne nicht finden. Besorgt und verzweifelt erlitt er einen Herzinfarkt und starb am 17. August 1939 ohne erfahren zu haben, dass seine Familie sicher in Belgien angekommen war.

Es ist nicht bekannt, wo Sofie Steinhardt und ihre neun- bzw. siebenjährigen Söhne in Belgien unterkamen. Tragischerweise starb Sofie aus unbekannten Gründen wenige Monate später, „und die Waisen waren der Freundlichkeit fremder Menschen in einem fremden Land ausgesetzt,“ so schrieb Bertha Shelas, geborene Mimetz, aus Cleveland Heights, Ohio, USA, eine Cousine von Sofie Steinhardt, in einem Brief vom 20. April 1941.

Jules und Kurt Steinhardt kamen in die Obhut des belgischen Comité d’Assistance aux Enfants Juifs Refugies (CAEJR), das Hilfskomitee für jüdische Flüchtlingskin¬der, und wur¬den im Heim Speyer in Anderlecht bei Brüssel untergebracht, ein Heim für jüdi¬sche Flüchtlingsjungen aus Deutschland und Österreich.

Als die Wehrmacht im Mai 1940 in Belgien einfiel, konnte eine Gruppe von 93 Kindern, darunter auch die Brüder Steinhardt, geschützt von CAEJR am 14. Mai 1940 in einem der vielen Flüchtlingstransportzüge in das freie Südfrankreich der Vichy-Regierung fliehen.

Zunächst kamen sie während des harten Winters 1940/41 in einem sehr einfachen Bauernhof in Seyre in der Nähe von Toulouse unter. Im Frühjahr 1941 zogen die Kinder mit ihren Betreuern in die Flüchtlingskinderkolonie „La Hille“ in der Nähe von Foix, südlich von Toulouse. Als der Druck auf die Vichy-Regierung und der Einfluss der Nationalsozialisten größer wurden, waren die jüdischen Kinder verstärkt von Verhaftung und Deportation bedroht.

Die Brüder Steinhardt gehörten zu den jüngeren Kindern der jüdischen Flüchtlingskinderkolonie, die später unter den Schutz der schweizerischen Kinderhilfsgesellschaft gestellt wurde. Eine der belgischen Komiteeleiterin-nen, Madame Lilly Felddegen, die nach New York geflohen war, schaffte es, die Brüder Steinhardt in eine Gruppe von über 100 Kindern aufnehmen zu lassen, denen im Jahr 1941 die Einreise in die USA erlaubt wurde, wo sie am 21. Juni 1941 ankamen.

Der einzigen Verwandten der beiden Jungen, Bertha Shelas, die ebenfalls seit kurzem in den USA lebte, war es nicht möglich, sich um ihre Neffen zu kümmern.

Neue Nachforschungen haben ergeben, dass die Brüder Steinhardt von Morton Zaller aus Cleveland adoptiert wurden, nachdem sie in den USA angekommen waren. Sie änderten ihre Nachnamen in Zaller.

Julius war später verheiratet und hatte mehrere Kinder. Er setzte seinem Leben in den 1970er Jahren ein Ende. Kurt war ebenfalls verheiratet und starb in den 1990er Jahren in Pennsylvania.


Wilmette, Illinois, USA, im August 2008