Paul Alfred Sternau
Von Andreas Lorenz, Aachen
Am 19. April 1890 wurde in der Wilhelmstraße 87 Paul Alfred Sternau geboren, drittes Kind der Eheleute Siegmund Sternau, geboren am 2. März 1847 Büren, gestorben am 30. Oktober 1895 in Berlin, und Meta, geborene Lövenberg, geboren 1861 in Moringen und gestorben im Jahr 1899 in Berlin.
Der Vater Siegmund Sternau wird im „Verzeichnis der steuerpflichtigen Israeliten" von 1874 in Aachen erwähnt. Der von ihm entrichtete Betrag von 32,83 Mark liegt deutlich unter den durchschnittlichen Zahlungen , was zeigt, dass der geschäftliche Start in Aachen durchaus bescheiden war. Im Adressbuch des Jahres 1877 wird er als Sigismund Sternau, Lothringerstraße 86, geführt . Mit dem Bezug des Wohnhauses Wilhelmstraße 87, das seinerzeit rückwärtig an die Fabrik in der Lothringerstraße grenzte, fand die Familie ein stattliches Zuhause. Der mittlerweile erarbeitete wirtschaftliche Erfolg der Familie Sternau zeigte sich auch daran, dass das zunächst gemietete Haus in der Wilhelmstraße zwischen 1887 und 1891 von der Familie Sternau erworben werden konnte. Die mit seinem Partner Albert Süskind geführte Tuchfabrik „Süskind & Sternau" entwickelte sich rasch zu einer der größten Aachener Tuchfabriken. Nach dem Umzug in die Charlottenstraße und dem großzügigen Ausbau der Fabrikation, beschäftigte die in eine Aktiengesellschaft umfirmierte „Tuchfabrik Aachen vormals Süskind und Sternau AG" bis zu 1.200 Weber.
Selbst in den wirtschaftlich schwierigen zwanziger Jahren konnte die Tuchfabrik Aachen auf das Kapital von 1,6 Millionen Mark in den Jahren 1925 bis 1929 noch durchschnittlich 10 % Dividende zahlen. Um dies würdigen zu können, ist es interessant zu wissen, dass zum Beispiel der 1928 gegründete Verbund der renommierten Tuchfabriken Delius und Johann Erckens Söhne in den neu gegründeten Textilkonzern TOGA bereits 1932 in die Stilllegung und Entlassung von 1.400 Beschäftigten führte. Die „Tuchfabrik Aachen" ging 1952 als größte Aachener Tuchfabrik der Nachkriegszeit im Zuge der Koreakrise in Konkurs. 640 Arbeitnehmer verloren ihre Arbeit.
Der wirtschaftliche Erfolg führte die Familie Siegmund und Meta Sternau noch vor der Jahrhundertwende nach Berlin. Durch den frühen Tod seiner Eltern (1895 Siegmund und 1899 Meta) wurde Alfred Sternau bereits mit neun Jahren Vollwaise. Seine Schwester Anna Sternau, geboren im Jahr 1883, war noch ein Jahr vor Ihrer Mutter im Alter von nur 15 Jahren verstorben. Die Erziehung Alfreds und seines achtzehnjährigen Bruders Kurt, geboren im Jahr 1881 in Aachen, gestorben im Jahr 1938 , übernahm wahrscheinlich deren Onkel Karl Lövenberg, ein Bruder Metas. Der Erfolg dieser Erziehung zeigte sich auch darin, dass Alfred Sternau bereits im Frühjahr 1910 an der Kaiser-Friedrich-Schule in Berlin Charlottenburg sein Abitur machte und im Alter von 25 Jahren sein juristisches Studium 1915 mit der Promotion in Greifswald abschloss . Der Titel „Dr. jur." wurde ihm, wie dem überwiegenden Teil der jüdischen Träger eines Doktorgrades, 1938 aberkannt. Erst am 19. Oktober 2000 wurde dieses Unrecht durch die namentliche Rehabilitierung Dr. Alfred Sternaus von der Universität Greifswald reflektiert und die Entziehung des akademischen Grades rückgängig gemacht.
Über den weiteren beruflichen und privaten Werdegang Alfreds während der spannenden Zwanziger Jahre in Berlin ist nur wenig bekannt. Aus einem Artikel im Filmkurier vom 01. Juli 1920 lässt sich schließen, dass Sternau bereits in den Zwanziger Jahren im Filmgeschäft mit der Firma Sternfilm tätig war. Die Firma Sternfilm produzierte in den Jahren 1918 bis 1925 einundzwanzig Filme. In dieser Zeit hatte Alfred Sternau Ruth Abrahamson, kennengelernt und 1931 in Berlin-Wilmersdorf geheiratet. Sie wurde am 30. Januar 1905 in Berlin geboren und im Jahr 1943 in Auschwitz ermordet. Wie Alfred Sternau war Ruth in der Filmbranche tätig. Die von Sternau gegründete Firma Tonal-Film, markiert den Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm, doch sein Debüt als Produzent wurde bereits von den politischen Ereignissen des Jahres 1933 überschattet.
Sein erstes und leider einziges Projekt als Filmproduzent der Zweig-Novelle „Das Brennende Geheimnis" zeigt, dass Alfred Sternau nicht nur das Gespür für einen spannenden Stoff hatte. Die 1911 erschienene Novelle von Stephan Zweig und das Drehbuch des bis in die 1970er Jahre in den USA erfolgreichen Autors Frederick Kohner (1905 Tepitz-Schönau – 1986 Los Angeles) weisen darauf hin.
Mit Robert Sidomak (1900 Dresden – 1973 Locarno), wie Kohner deutsch-polnisch-jüdischer Abstammung, war es Sternau gelungen, einen der maßgeblichen Vertreter der Neuen Sachlichkeit als Regisseur zu gewinnen. In den Hauptrollen Willi Forst und Hilde Wagener, die auch in der Nachkriegszeit noch erfolgreiche Schauspieler waren, bot dieses Team, das in der Schweiz in der Gegend von Ascona drehte, eigentlich die Garantie für einen erfolgreichen Film. Seine Ehefrau Ruth unterstützte Alfred Sternau auch beim Dekorationsbau als ‚Art Director'.
Die Uraufführung des Films am 20. März 1933 im Capitol am Berliner Zoo stand unter einem unglücklichen Stern, denn schon wenige Tage später wurde der Film vom neu errichteten Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda des Joseph Göbbels verboten. Ob wegen des Titels, der als Anspielung auf den Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 gelesen werden konnte, oder wegen der unerwünschten Dominanz jüdischer Kulturschaffender mag dahin gestellt bleiben. In Frankreich erfolgte die erste Aufführung am 26. Januar 1934 unter dem Titel „Fin de saison". Drei Jahre nach der deutschen Uraufführung wurde der Film am 20. April 1936 erstmals in Portugal gezeigt.
Noch im Jahr 1933 verließ Alfred Sternau mit seiner Frau Nazideutschland. Die Suche nach einer neuen Bleibe führte sie zunächst nach Spanien. Von dort flohen sie wahrscheinlich vor dem Bürgerkrieg 1937 weiter nach San Remo an der italienischen Riviera, von wo sie Ende 1938 wegen der neuen antijüdischen Gesetze dann nach Nizza gingen. Im September 1939 wurde Alfred Sternau im Lager „Camp des Milles" in der Nähe von Aix-en-Provence als feindlicher Deutscher für kurze Zeit interniert und erneut für einige Wochen im Juni 1940.
Am 27. Dezember 1940 wurde in Villefranche-sur-Mer die Geburt von Pierre William Charles Sternau zur Eintragung in die Standesamtsregister von einer Madame Ottilié Moore gemeldet, da die Wöchnerin dazu nicht in der Lage war. Bis 1943 wechselte die Familie Sternau sechsmal von einer möblierten Wohnung in die andere. Zur besseren Überwachung durch die Behörden wurde die Familie nach Lantosque (im Hinterland von Nizza) gebracht, dann wieder nach Nizza ins Hotel Dante. In seiner Not schrieb Alfred Sternau an seinen Bekannten Paul Kohnen, Agent bekannter französischer und amerikanischer Künstler, in die USA. In diesem Brief bittet er, wenn auch erfolglos, um eine eidesstattliche Versicherung, ein Affidavit , um nach Amerika auswandern zu können und seine Frau und sein zwei Monate altes Kind zu retten.
Um ihren Sohn Pierre zu schützen, brachten die Eltern ihn in einen privaten Kinderhort und ließen ihn taufen.
Nach italienischen Truppen kamen am 9. September 1943 deutsche Truppen in die Region Nizza, um diese zu besetzen. Mit ihnen auch der SS-Führer Alois Brunner, der alle Juden verhaften ließ, die nach Nizza und Umgebung geflohen waren.
Insgesamt waren 18.000 Juden von der Polizeipräfektur registriert worden. Am 13. September 1943 wurde das Ehepaar Sternau verhaftet und mit mehr als 3.600 anderen Juden in das Lager Drancy gebracht. Von dort gingen die Sammeltransporte in das Vernichtungslager Auschwitz, wohin die Sternaus am 7. Oktober 1943 verschleppt und wo sie ermordet wurden.
Das Kind Pierre Sternau konnte durch die Zusammenarbeit vieler mutiger Franzosen vor diesem Schicksal gerettet werden und wuchs ohne rechte Erinnerung an seine Eltern als Pierre Lellouch auf, um sich mit Erreichen des Pensionsalters auf die Suche nach der verlorenen Geschichte und einem Bild seiner Eltern zu machen . Dieser schmerzlichen Suche sind die hier wiedergegebenen Informationen zu verdanken.
Quelle: Die Biographie stützt sich wesentlich auf Auskünfte von Heidi Lellouch, der Tochter Pierre Lellouchs, die auch einige der wichtigsten Quellen zur Verfügung stellte.
Fotos: - Alfred Sternau, einzige überlieferte Aufnahme aus den französischen Lagerakten. Foto privat mit freundlicher Genehmigung von Pierre Lellouch. - Tuchfabrik in der Charlottenstraße, Aachen (Foto: A. Lorenz) - Aktie der Tuchfabrik Aachen, „Vorm_als_ Süskind & Sternau-Aktiengesellschaft". - Ruth Sternau; Auf der Rückseite dieser Aufnahme wurde von der Tochter einer Freundin der Familie notiert: „This may be Ruth, but I am not sure." [Dies könnte Ruth sein, aber ich bin nicht sicher.], Foto privat mit freundlicher Genehmigung von Pierre Lellouch.
Die wesentlichen Informationen stammen aus Gesprächen und der Korrespondenz mit Alfred Sternaus Sohn Pierre Lellouche, der sich, ohne seinen Vater kennen gelernt zu haben, im Alter auf die Spurensuche nach seinen Eltern begab. Lepper, Herbert, Von der Emanzipation zum Holocaust. Die Israelitische Synagogengemeinde zu Aachen 1801-1942, Aachen 1994, S. 1501. Adressbuch für Aachen und Burtscheid 1877, S. 127. Der die Anlage dominierende achteckige Turm diente als Treppenhaus für eine mehrgeschossige Fabrikhalle, umfasste im Inneren den Fabrikschornstein und besaß im obersten Geschoss einen Wasserbehälter, der für gleichmäßigen Wasserdruck in allen Leitungen sorgte. Der Entwurf stammt von dem berühmten Ingenieur und Professor Otto Intze, der an der RWTH in Aachen lehrte. Auf dem Gelände wurde auch von der Vorgänger-Tuchfabrik Ritz & Vogel Aachens erste Shedhalle (ebenerdige Fabrikhallen mit ‚sägezahnartigem' Dach für Nordlicht und eine gleichmäßige Ausleuchtung bei der Tuchverarbeitung) errichtet. Kurt Sternau lebte als Kaufmann in Berlin. Er hatte aus erster Ehe einen Sohn mit Namen Ralf. Vgl. den bei der Universität Greifswald vorliegenden Lebenslauf (Kopie vorhanden). Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald, Schreiben vom 25.9.1939 (Kopie vorhanden) www.uni-protokolle.de/nachrichten/id/67765/. Filmkurier 1.7.1920, Die Beisetzung des Direktors Gosemann. Zu den Filmen, die die Stern-Film GmbH Berlin herausbrachte gehörten Filme wie „Schlagende Wetter", Stummfilm 1923; 1925 „Die Stadt der Versuchung", Regie von Walter Niebuhr. Dazu auch: http://www.eva-lichtspiele.de/index.php?p=m&mid=134Der Alte Deutsche Film Andrew Birkin, der lange Zeit als Assistent für Stanley Kubrick gearbeitet hatte, griff den Stoff wieder auf: 1988 wurde die Novelle unter dem Titel Burning Secret unter der Regie von Andrew Birkin mit Klaus Maria Brandauer in der Rolle des Barons und Faye Dunaway als Mutter noch einmal verfilmt. Nach der Flucht vor den Nazis zunächst nach Paris und dann nach USA wurde Siodomak in Hollywood einer der bedeutendsten Regisseure des „Film noir". www.imdb.com/title/tt0023840/ Ottilie Moore war eine reiche Amerikanerin, deutscher Herkunft. Sie besaß in Villefranche-sur-Mer eine große Villa. Sie beherbergte schwangere jüdische Frauen und Kinder. Bei ihrer Ausreise in die USA nahm sie zehn dieser Kinder mit auf eine gefährliche Reise durch Frankreich zu einem spanischen Hafen, um in die USA zu gelangen. 1949 kehrte sie nach Frankreich zurück, wo sie 1974 in Nizza verstarb. Mit einem solchen „Affidavit" konnten während der NS-Zeit Freunde und Bekannte Verfolgten die Einreise ins Vereinigte Königreich und die USA ermöglichen. Sowohl dieses Schreiben, als auch die abschlägige Antwort aus den USA sind erhalten. Informationen des Bundesarchivs (www.bundesarchiv.de). Thomas Schmid: Das Bild der Mutter, Berliner Zeitung v. 13.11.2000. Frau Heidi Lellouch war so freundlich, eine Übersetzung der Geschichte ihres Mannes für das Aachener Gedenkbuch anzufertigen.