Gedenkbuch 2013

Erna Baum geborene Roos
Leo Baum

Meir Baum (Otto Baum), Israel

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Foto: Leo Baum 1938 (privat)

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Foto: Erna Baum 1938 (privat)

Die Familie Baum ist schon für das 18. Jahrhundert urkundlich belegt und war zu dieser Zeit in Setterich ansässig.

Ein Zweig dieser Familie zog im Laufe des 19. Jahrhunderts nach Geilenkirchen-Bauchem.

Mein Vater, Leo Baum, kam am 14. März 1896 in Geilenkirchen-Bauchem zur Welt. Er ist der Sohn von Josef und Johanna Baum, geborene Marx, aus Nettersheim. Er hatte eine Schwester, Magda Baum. Eine der Großmütter meines Vaters, Rosetta Salmang, stammt aus Eilendorf, und auch andere Vorfahren von dieser Seite waren bereits im 18. Jahrhundert in der Aachener Umgebung ansässig.

Leo Baum besuchte die Bauchemer Volksschule und später die Aachener Berufsschule.

Im Ersten Weltkrieg kämpfte er als freiwilliger Soldat an der französischen Front und wurde mit dem „Eisernen Kreuz erster Klasse" und dem „Eisernen Kreuz zweiter Klasse" sowie dem silbernen und dem schwarzen „Verwundetenabzeichen" ausgezeichnet. Nach dem Ersten Weltkrieg gründete Leo Baum in Bauchem, im Hause seiner Eltern, ein anfangs gut gehendes Unternehmen für landwirtschaftliche Produkte, Landmaschinen, Dünger und Futtermittel.

Erna Roos, meine Mutter, kam am 28. Dezember 1899 in einem kleinen Ort im Taunus, in Holzhausen an der Haide, Hessen-Nassau, zur Welt. Eine Schwester ihres Vaters war mit Wilhelm Gottschalk in Geilenkirchen verheiratet, und mit Hilfe dieser Tante begann Erna Roos in Heinsberg bei der Firma Bleche eine kaufmännische Lehre.

Die jungen Leute in Geilenkirchen trafen sich gelegentlich, und so wurden Erna Roos und Leo Baum miteinander bekannt und heirateten im Frühjahr des Jahres 1925. Leo und Erna Baums erster Sohn, mein Bruder Bernhard, wurde am 20. November 1926 in Geilenkirchen-Bauchem geboren. Ich bin der zweite Sohn, Otto Baum, und kam am 18. November 1927 ebenfalls in Geilenkirchen zur Welt.

Zu Beginn der Ehe wohnten meine Eltern und mein älterer Bruder in einem Haus vis-à-vis der Familie Wilhelm Gottschalk in Bauchem.

Nach meiner Geburt zog die Familie nach Geilenkirchen-Hünshoven, unweit des Geilenkirchener Bahnhofs. Dies erleichterte meinem Vater die Kontrolle der zu empfangenden und der zu verschickenden Güterladungen für seine Firma.

In dem Haus, in dem wir wohnten, wohnte auch eine christliche Familie namens Dorenkamp. Mein Vater Leo Baum und Herr Dorenkamp waren zusammen im Ersten Weltkrieg an der französischen Front gewesen. Sie waren auch weiterhin sehr befreundet. Diese Freundschaft bestimmte auch das Verhältnis der beiden Familien. An den Weihnachtsabenden wurden wir Söhne der Familie Baum zu den Nachbarn eingeladen und wurden dort auch beschert. Die Nachbarskinder feierten bei unserer Familie die Chanukkaabende an welchen wir gemeinsam Lichter anzündeten und sie ebenfalls beschenkt wurden.

Wir Kinder gingen zunächst in die einklassige evangelische Schule. Dann wurde ein großes, neues Schulgebäude gebaut. Auch die evangelische Schule zog dort mit ein. Sie hatte ein einziges Klassenzimmer. Mit diesem Umzug der Schule begann für uns Söhne der Familie Baum eine schwere Zeit: Schläge, Beschimpfungen und andere Belästigungen. Vaters Reaktion war anfangs sehr spartanisch, was ja bei einem Soldaten nicht weiter erstaunlich war. Zunächst forderte er noch, dass, wenn die anderen sangen: „Jüd, Jüd, Jüd, hepp, hepp, hepp – steck die Nas´ in die Wasserschepp!", wir antworten sollten: „Da bin ich stolz drauf!", was natürlich erst recht Prügel herausforderte. Im Allgemeinen verlangte er, dass wir Kinder uns wehren sollten. Aber für die Nazis genügte das nicht mehr.

Mit dem Beginn des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland, ging Vaters Geschäft nach und nach zugrunde. Da die Miete für die Wohnung in Hünshoven durch die Einnahmen aus dem Geschäft nicht mehr aufzubringen war, zog unsere Familie im Jahr 1935 wieder nach Bauchem, diesmal jedoch in das Haus der Großeltern, Sittarder Straße 6, heute Hausnummer 56.

Im Jahr 1936 wurde nach Aachen umgezogen. Mutters Bruder, Arthur Roos, hatte in Aachen eine Firma, ein Tuchlager „L. Gutmann", das sich in der Ottostraße 70 befand. Dort bekam Vater eine kleine Anstellung. Arthur Roos hatte unserer Familie schon immer zur Seite gestanden. Wir wohnten drei Jahre lang in einer schönen Wohnung in der Augustastraße 74, und mein Bruder und ich gewannen Aachen damals sehr lieb. Der Sohn des Hausmeisters wurde unser Freund und erleichterte uns die Eingewöhnung in die fremde Stadt sehr.

In der Großstadt Aachen war die Verfolgung wie weggewischt. Was die Erwachsenen zu bewältigen hatten, merkten wir Kinder anfangs nicht, denn unsere Eltern verstanden es, alles Trübe von uns fern zu halten. Wenn ab und zu ein Wort fiel, ging das uns Kinder nichts an. Die Familie hatte christliche Freunde in der Nachbarschaft und keiner scherte sich darum, dass wir jüdisch waren.

Die Mutter meines Vaters starb am 29. Januar 1938 in Hülchenrath bei Neuss im Alter von 71 Jahren und Vater besuchte seitdem jeden Morgen die Synagoge, um Kaddisch zu sagen. Am Morgen des 10. Novembers 1938 kam er unverrichteter Dinge von der Synagoge wieder und sagte völlig entsetzt: „Die Synagoge brennt!". Wir Kinder machten uns auf den Weg zur jüdischen Volksschule am Bergdriesch 39, wurden aber von unserem Lehrer, Herrn Fritz Wolf, der damals in der Harscampstraße 5b wohnte, wieder nach Hause geschickt.

Mit diesem Tag war der schöne Aachener Traum für unsere Familie zu Ende. Vater und auch mein Onkel Arthur Roos wurden nach Buchenwald verschleppt. Vater wurde aus Buchenwald nur entlassen, weil er im Ersten Weltkrieg Soldat war. Ihm wurde bei der Entlassung aus Buchenwald die Auflage erteilt, sofort aus Deutschland wegzugehen. Als Vater als ein Schatten seiner selbst aus Buchenwald zurückkam, floh er im Dezember 1938 über die grüne Grenze illegal nach Belgien. Die Firma von Arthur Roos wurde schon am 4. November 1938 arisiert.

Meine Eltern hatten bereits ein Visum für die Vereinigten Staaten von Amerika beantragt und erhielten am 29. August 1938 bei der Registrierung vom amerikanischen Konsulat die so genannte Quotennummer 17.186. Die Nummer bezeichnete die Reihenfolge, in der die Anträge bearbeitet werden sollten. Es standen also bereits im Jahr 1938 noch vor der Pogromnacht im November 1938 über 17.000 Menschen „Schlange", um in die U.S.A. auszuwandern. Allem Anschein nach wurde bei der Visaerteilung diese Ordnung jedoch nicht unbedingt berücksichtigt. Wir erfuhren, dass Leute mit höheren Nummern ihre Visa bereits erhalten hatten.

Am 2. Februar 1939 brachte Mutter meinen Bruder und mich zum Kindertransport nach Belgien. Als uns beiden plötzlich klar wurde, dass wir nun von der Mutter Abschied nehmen und dass wir unsere Heimat für immer verlassen müssen, begannen wir zu weinen. Mutter bat uns nicht so zu weinen, damit die Zollbeamten sich nicht freuen sollten. Wir Söhne kamen mit dem Kindertransport zuerst nach Lüttich zu einer Gastfamilie. Am 2. Mai 1939 starb der Vater unseres Vaters, Großvater Baum, in Neuss.

In Brüssel wohnte ein Jugendfreund von Großvater Baum mit Namen Samuel Gottschalk, der sich unserer Familie annahm. Er half Mutter legal als seine Köchin nach Brüssel zu kommen, und da sie legal nach Belgien einwanderte, konnte sie einen Teil der Wohnungseinrichtung aus der Augustastraße mitnehmen. Dadurch gaben unsere Eltern, Erna und Leo Baum, uns Kindern nach verhältnismäßig kurzer Zeit wieder ein normales Heim.

Allerdings wohnte Vater nur kurze Zeit mit der Familie in Brüssel zusammen. Am 10. Mai 1940, als die deutsche Armee Belgien angriff, verhafteten die belgischen Behörden alle sich dort aufhaltenden männlichen Flüchtlinge, jüdische und nichtjüdische, lud sie auf Güterwagen und schob die Züge auf die französische Seite ab. Unser Vater wurde in das Lager St. Cyprien im Süden Frankreichs deportiert und danach in das KZ Gurs. Um näher bei Vater zu sein, zog meine Mutter mit uns Kindern nach Marseille. Wir wohnten dort in einem kleinen Hotel.

Unsere gesamte Familie ist dann in das Lager Les Milles gebracht worden. Mein Bruder und ich haben in dieser Zeit in einer Fabrik zur Abfüllung von Klebstoff und Tinte in Flaschen gearbeitet. Da wir Brüder noch nicht sechzehn waren, ist es der Organisation Oeuvre de secours aux enfants (O.S.E.) gelungen, uns zu befreien unter der Auflage, dass unsere Eltern ihre Vormundschaft abgeben. Mein Bruder und ich verließen Les Milles am 10. August 1942 mit einem Bus und verabschiedeten uns zum letzten Mal von den Eltern. Zunächst lebten wir in Frankreich in von der O.S.E. eröffneten Kinderheimen. Am 29. Juli 1943 schmuggelte man mich über die Schweizer Grenze, und meinem Bruder gelang es, sich auf eigene Faust in die Schweiz zu retten. Mein Bruder und ich lebten bis September 1945 in der Schweiz und gingen dann nach Palästina.

Meine Mutter Erna Baum und mein Vater Leo Baum wurden am 14. August 1942, vier Tage nach unserem Abschied, mit Transport Nr. 19 von Drancy nach Auschwitz deportiert , wo sie ermordet wurden.

Fotos: - Erna Baum, 1938. - Leo Baum, 1938. - Zeichnung Stammhaus Baum in Bauchem mit Unternehmen Leo Baum. - Josef und Johanna Baum, geborene Marx, 1936 in Bauchem. - Bernhard Baum, 1938. - Otto Baum, 1938. Alle Fotos privat mit freundlicher Genehmigung von Meir Baum.

Erinnerungen von Meir Baum, Korrespondenz mit Bettina Offergeld Gedenkblätter aus Yad Vashem Liste der Aachener Juden aufgestellt August 1935 nach den vom Einwohnermeldeamt gemachten Angaben durch Adrema der Stadtverwaltung (Nach Ortsgruppen). Stadtarchiv Aachen. Nachweisung der im Zuge der Aktion (10.11.38) festgenommenen und in die Konzentrationslager überführten Juden. Klarsfeld, Serge: Le mémorial de la deportation des Juifs de France. Listes alphabétiques par convois des Juifs déportés de France. Paris: Beate et Serge Klarsfeld 1978.