Frieda Cahn geborene Philipp,
Hugo Cahn,
Hortense Adler geborene Blüm,
Adolf Adler
Dr. Dan Philipp, Israel
Zum Gedenken an meine Tante - die Schwester meines Vaters – und meinen Onkel
1. Frieda Cahn, geborene Philipp, geboren am 15. Oktober 1889 und Hugo Cahn, geboren am 23. April 1881 ehemalige Adresse: Brabantstraße in Aachen
und an die Eltern meiner Mutter
2. Hortense Adler, geborene Blüm, geboren am 26. Juli 1876 und Adolf Adler, geboren am 21. November 1866 ehemalige Adresse: Maastricher Laan 153 in Vaals, Niederlande. Todesdaten: 20. Juli und 23. Juli 1943 in Sobibor
die im Holocaust umkamen.
Die eindruckvollsten Erinnerungen, die ich an Tante Frieda habe, sind, dass sie des Öfteren zusammen mit meiner Mutter und mir die Großeltern in Vaals besuchte und französisch sprach, angeblich, weil sie die Mädchenjahre oft in Paris und Nancy verbracht hatte. Als ich meine Mutter ganz unschuldig fragte: „Aber wir sind doch Deutsche!?“, antwortete sie: „Ja, aber die Zeiten haben sich geändert, wir sind auch Juden.“
Ein Jahr später, in der Kristallnacht, kam Onkel Hugo – ganz leise schleichend – in das Haus meiner Mutter in der Roonstraße. Und wieder fragte ich meine Mutter: „Was ist denn los mit ihm? Er sieht ganz sonderbar aus.“ Er hatte verweinte Augen und zitterte am ganzen Körper. Da war ich schon klug genug, um zu wissen, dass irgendetwas bei ihm geschehen war, weil wir Juden waren. Später verstand ich, dass er dadurch, dass er bei uns zu Hause Zuflucht suchte und meine Mutter verwitwet war, - wie durch ein Wunder – nicht wie alle anderen männlichen Juden damals in ein Konzentrationslager kam.
Weil man in unseren Kreisen – noch im Jahre 1938 – versuchte, die ganzen Aktionen als unbedeutende vorübergehende Zwischenfälle zu vertuschen, wurde es vielen von uns Juden zu spät klar, dass diese Vogelstraußpolitik uns ins Verderben schicken wird.
Meine Mutter fasste damals im letzen Moment den Entschluss, mich mit dem Grenzausweis nach Vaals zu den Großeltern zu schleusen, während sie in Aachen unsere Ausreise nach Palästina einfädelte.
Der Abschied vor der Abreise von Onkel Hugo und Tante Frieda fiel schwer. Onkel Hugo war ein gutmütiger, herzlicher Mann, der immer humorvoll über das Schwerste hinwegging. Er war Agent für Zigarren und Zigaretten, rauchte heimlich bei uns mit Filter, da Tante Frieda es ihm strikt in ihrem Haus verboten hatte. Selbst in diesen gefahrvollen, sehr emotional geladenen Abschiedsstunden sagte er mit würdevoller Geste: „Na mein Kleiner, wie wäre es mit einem Zug von meiner Zigarre? Bis wir uns wiedersehen, wirst du schon ein Kettenraucher sein.“ Er hatte Tränen in den Augen. Ob er etwas ahnte? „Oh nein!“, sagte Tante Frieda gefasst, „Geh über die Grenze! Meine Kinder und deine Schwester sind auch schon draußen. Sei froh, dass Opa und Oma in Vaals leben. Hab keine Angst! Wir kommen nach. Und wenn nicht, gib den Kuss, den ich dir jetzt gebe, weiter an Werner und Ruth (ihre Kinder). Und jetzt: Adieu!“
Ich sah sie nie wieder. Ich gab den Kuss an Ruth in London weiter und an Werner in Israel, nachdem er 1944 via Amsterdam, Frankreich und Barcelona nach Israel gekommen war. Rauchen kann ich nicht, vielleicht weil es zu keinem Wiedersehen mit Onkel Hugo und Tante Frieda mehr kam.
Bei meinen Großeltern, Hortense und Adolf Adler, blieb ich in Vaals von November 1938 bis zum 01. März 1939. An diesem Märztag wanderten Mutti und ich von dort nach Palästina aus. In diesen 3 ½ Monaten ging ich in Vaals fast täglich an die Grenze und schaute sehnsüchtig, ob meine Mutter, Tante Frieda und Onkel Hugo zu sehen waren. Vergeblich! Die Großeltern hatten es nicht leicht mit mir, was mir bis heute Schuldgefühle einbringt. Der Abschied von ihnen fiel nicht allzu schwer, denn wer ahnte im März 1939, dass das Unheil auch auf sie kommen würde? Sie schwärmten von Palästina, besonders Opa, von dem Land, in dem Milch und Honig fließt. Sein Traum war, dort seinen Lebensabend als Landwirt verbringen zu können. Es sollte leider anders kommen!
Tante Frieda und Onkel Hugo wurden im Jahre 1942 vom Lager Grüner Weg aus in den Osten verschickt, wo sie durch die Nazis den Tod fanden.
Und die Großeltern wurden nach Sobibor deportiert. Sie ahnten, dass ihnen Schweres bevorstand. Nachbarn in Vaals erzählten später meiner Schwester, dass sie, bevor sie von ihrem Haus verschickt wurden, ihre Wertsachen im Garten vergraben hatten. Nichts wurde gefunden.
Hoffentlich starben sie in der Hoffnung, dass wenigstens ihre Tochter und ihre Enkelkinder gerettet waren.
Und auch Tante Frieda und Onkel Hugo hatten vielleicht vor ihrem Tod das Gefühl, dass ihre Nachkommen weiter leben.
Mir persönlich gibt es – vielleicht wegen meines Alters (79) – keinen Trost, selbst wenn ich im Kreise meiner Kinder und Enkel lebe. Der Schmerz sitzt zu tief!